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Vom Schwinden der Sinne

Die Reizüberflutung

Dieselbe Sprachheilpädagogin, der ich den Hinweis auf die Ordnungsschwelle

verdanke, hatte mir auch davon berichtet, dass in ihrer Praxis seit einiger Zeit

zunehmend Kinder erschienen waren, die sie – vielleicht etwas locker – als

„Game-Boy-Opfer“ bezeichnete: Manche dieser Kinder hatten wie aus heite-

rem Himmel zu stottern begonnen. Nach kurzer Prüfung kam sie zu dem Er-

gebnis, dass die Überflutung mit visuellen und auditiven Reizen, also mit Seh-

und Hörreizen, bei diesen Video- und Computerspielen ohne die gleichzeitige

Möglichkeit eines motorischen Ausgleichs seitens der so verbissen arbeiten-

den Kinder zu einem solchen emotionalen Stau führte, dass das Stottern nur

eine Form des Abreagierens darstellte. Ihre erste therapeutische Maßnahme

war ganz einfach: Sie bat die betroffenen Kinder, sie möchten ihr doch bis zur

nächsten Therapiestunde ihren Game-Boy überlassen, damit sie ihn ebenfalls

kennen lernen könne. Das erfreuliche Ergebnis war, dass die Symptome, also

das Stottern, beim nächsten Besuch nach einer Woche schon deutlich nach-

gelassen hatten.

Aber das ist ja nicht alles an Reizüberflutung, was schon seit einigen Jahren

an unsere heranwachsende Generation brandet. Schon im Jahr 1988 hat Hart-

mut Ising vom Institut für Wasser- Boden- und Lufthygiene des Bundesge-

sundheitsamts in Berlin eine Studie des Hörvermögens an 4.000 Jugendlichen

in der Bundesrepublik durchgeführt. Bei ihrer Einstellungsuntersuchung

wurde zunächst ihre so genannte Hörschwelle präzise gemessen. Zu diesem

Zeitpunkt konnte keinesfalls eine berufsbedingte Beeinträchtigung ihres Hör-

vermögens vorliegen. Dennoch wurden bei etwa zwei Prozent dieser Jugend-

lichen bereits Innenohr-Hörverluste, also Schwerhörigkeiten, von 30 dB oder

mehr bei mindestens einer Frequenz zwischen 3.000 Hertz und 6.000 Hertz

festgestellt. Das entspricht einer deutlich ausgeprägten Altersschwerhörigkeit,

wie sie sonst erst bei etwa Sechzigjährigen auftritt! Dabei wurden aber nicht

einmal angeborene oder krankheitsbedingte Hörverluste mit bekannter Ge-

nese – also bekannter Ursache oder Entstehungsgeschichte – einbezogen. Es

musste sich also um andere Einflussgrößen handeln.

Um diesen anderen Ursachen auf die Spur zu kommen, wurde den Berufsan-

fängern zugleich ein Fragebogen vorgelegt, in dem sie über ihre Musikhör-

gewohnheiten und möglichen Freizeitlärm befragt wurden. Dabei ergab sich

ein deutlicher Zusammenhang zwischen den erwähnten Hörschäden und

Musik- sowie Lärmeinflüssen verschiedenster Art. An erster Stelle standen